Das VG Neustadt lehnte am 15.10.2020 den Antrag eines Schülers auf Befreiung vom Präsenzunterricht ab (5 L 827/20.NW). Die Schulbesuchspflicht entfalle laut derzeit geltender Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz nur für solche Schüler, die nicht schulbesuchsfähig seien. Diese Voraussetzung habe der Antragsteller aber auch unter Berücksichtigung des vorgelegten ärztlichen Attests nicht hinreichend nachgewiesen.

Die Prüfung der Schulbesuchsfähigkeit unter Pandemiebedingungen erfolge im Fall von Schülern mit Grunderkrankungen bzw. mit Angehörigen mit risikoerhöhenden Grunderkrankungen nach den Vorgaben des „Hygieneplan-Corona für die Schulen in Rheinland-Pfalz“. Hierfür bedürfe es der Vorlage eines ärztlichen Attests. Aus dessen Inhalt müsse sich regelmäßig nachvollziehbar ergeben, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund des Schulbesuchs alsbald zu erwarten seien und woraus diese im Einzelnen resultierten. Darüber hinaus müsse im Regelfall erkennbar werden, auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Das Gericht müsse aufgrund konkreter und nachvollziehbarer Angaben in den ärztlichen Bescheinigungen in die Lage versetzt werden, das Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen selbstständig zu prüfen. Dies gelte in besonderer Weise für ärztliche Atteste, die als Grundlage für eine wegen der Corona-Pandemie zu gewährende Befreiung vom Präsenzunterricht dienen sollten. Diesen Anforderungen werde das vorgelegte Attest in keiner Weise gerecht. Es werde zwar eine Diagnose genannt, in der Konsequenz jedoch lediglich erklärt, dass eine „Sonderbeschulung“ notwendig sei, ohne dass klargestellt werde, was darunter zu verstehen sei.  Angesichts des derzeit nicht vorhersehbaren Endes der Pandemiesituation lasse das Attest nicht erkennen, dass der behandelnde Arzt die Folgen einer längerfristigen Isolation für den Antragsteller mit in seine Beurteilung einbezogen habe.

Die geltend gemachten Erkrankungen seiner Angehörigen ließen keine andere Bewertung des geltend gemachten Anspruchs zu. Die Nichtteilnahme von Schülern am Präsenzunterricht könne zum Schutz ihrer Angehörigen nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies setze voraus, dass ein ärztliches Attest des betreffenden Angehörigen vorgelegt werde, aus dem sich die Corona-relevante Vorerkrankung ergebe. Entsprechende Nachweise, die den erforderlichen „eng begrenzten“ Ausnahmefall belegten, fehlten.

Ein Anspruch auf Befreiung vom Präsenzunterricht lasse sich nicht aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit herleiten. Die Verfassung gebiete keinen vollkommenen Schutz vor jeglicher Gesundheitsgefahr. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gelte dies im Zusammenhang mit der SARS-CoV2-Pandemie umso mehr, als ein „gewisses Infektionsrisiko mit dem neuartigen Corona-Virus derzeit für die Gesamtbevölkerung zum allgemeinen Lebensrisiko gehöre“.

Vorliegend sei auch zu berücksichtigen, dass die Schule dem Antragsteller mit den schriftlich formulierten besonderen Maßnahmen das im Hygieneplan vorgegebene Konzept der geschützten Präsenz konsequent umgesetzt habe. Die Befreiung von Sport- und Ethikunterricht zeige ebenso wie die Internatsunterbringung in einem Einzelzimmer die Bereitschaft, den gesamten Schulalltag auf besondere Ansteckungsrisiken des Antragstellers hin zu überprüfen und insoweit auf seine gesundheitlichen Probleme einzugehen. Die Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m im Klassenraum sei gesichert, der ohnehin mit einer Größe von 60 m² bei der Klassenstärke von nur 15 Schülern unter dem Aspekt des Ansteckungsrisikos nach allgemeiner Einschätzung äußerst vorteilhaft sei. Zwar werde damit das Ansteckungsrisiko nicht auf Null reduziert, zumal der Antragsteller offenbar wöchentlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen seinem Heimatort und Kaiserslautern pendeln müsse. Dies beruhe allerdings auf der individuellen Entscheidung des Antragstellers und seiner Eltern für die weit entfernt gelegene Schule.

Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zum OVG Koblenz zulässig.

 

Quelle: Pressemitteilung des VG Neustadt Nr. 22/2020 v. 21.10.2020