Leitsatz
- Der Anspruch aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII steht – anders als etwa das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 Abs. 1 SGB VIII – unter keinem Kapazitätsvorbehalt.
Die Einwände der fehlenden Erfüllbarkeit und Unmöglichkeit können der unbedingten Gewährleistungspflicht des gesamtverantwortlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht entgegengehalten werden.
Verfahrensgang
vorgehend VG Stuttgart, 12. September 2022, 9 K 4016/22, Beschluss
Tenor
- Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. September 2022 – 9 K 4016/22 – wird zurückgewiesen.
- Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.
Gründe
- Die am 26.09.2022 fristgerecht eingelegte und am 12.10.2022 begründete Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 12.09.2022 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg.
- 1. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Beschluss den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin ab dem Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung für die Dauer von sechs Monaten einen bedarfsgerechten und zumutbaren Betreuungsplatz in einer Tageseinrichtung mit einer Betreuungszeit von täglich (Montag bis Freitag) durchgängig fünf Stunden bis mindestens 13 Uhr nachzuweisen, die bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel von der Wohnung der Antragstellerin aus in maximal 30 Minuten erreichbar ist. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.
- Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht zusammengefasst ausgeführt, der am xxxxx.2018 geborenen Antragstellerin stehe ein Anordnungsanspruch zu, denn sie habe gegen den Antragsgegner einen Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Mangelnde Kapazitäten stünden dem nicht entgegen. Es bestehe nach § 24 Abs. 3 SGB VIII ein einklagbarer Leistungsanspruch, der nicht unter Kapazitätsvorbehalt gestellt sei. Kapazitätsverschaffung bedeute, dass der zuständige Träger alle notwendigen – auch die baulichen oder personellen – Maßnahmen ins Werk setzen müsse, die sicherstellten, dass die erforderliche Kapazität vorhanden sei. Der Antragsgegner verkenne offensichtlich den Umfang seiner Verpflichtung, die auch in Baden-Württemberg nicht nur darauf gerichtet sei, bei den gemeindlichen oder privaten/freien Einrichtungsträgern das Vorhandensein von freien Betreuungsplätzen abzufragen. Aus § 1 des Gesetzes über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz – KiTaG) vom 19.03.2009 (GBl. 2009, S. 161) ergebe sich, dass auch die Träger der Jugendhilfe Kindergärten betreiben könnten und müssten, wenn die weiteren in § 1 Abs. 2 KiTaG genannten Einrichtungsträger keine Betreuungsplätze anböten. Der Anspruch bestehe im zeitlichen Umfang von fünf Stunden täglich. Die Antragstellerin habe auch den Anordnungsgrund ab Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung glaubhaft gemacht. Im Hinblick auf die bereits verstrichene Zeit von neun Monaten seit der Vollendung des dritten Lebensjahrs könne der Antragstellerin eine weitere Betreuung im häuslichen Umfeld nicht zugemutet werden, denn diese könne qualitativ nicht der Betreuung in einer Kindertageseinrichtung gleichgestellt werden. Um zu vermeiden, dass die im Klageverfahren zu entscheidende Hauptsache für die gesamte mehrjährige Besuchsdauer des Kindergartens vorweggenommen werde, werde der Antragsgegner für die Dauer von sechs Monaten zur tenorierten Leistung verpflichtet.
- 2. Die hiergegen gerichtete Beschwerde, mit der der Antragsgegner bei sachdienlicher Auslegung seines Antrags (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO) die Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 12.09.2022, soweit er zum Nachweis eines Betreuungsplatzes verpflichtet wurde, und die Ablehnung des Antrags insgesamt begehrt, ist zulässig, aber unbegründet.
- 5.
- Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts im vorläufigen Rechtsschutz beschränkt. Danach prüft der Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich nur die in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erfordert, dass die Begründung im Einzelnen darstellen muss, weshalb die Entscheidung unrichtig sein soll, und sie sich dabei mit der Entscheidung konkret auseinandersetzt. Der Begriff des Darlegens erfordert eine substanzielle Erörterung des relevanten Streitstoffs, wobei Maßstab und Bezugspunkt immer die angefochtene Entscheidung ist. Zu leisten ist eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und somit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer darf sich nicht darauf beschränken, die Punkte zu benennen, in denen der Beschluss angegriffen werden soll. Er muss vielmehr zusätzlich darlegen, aus welchen Gründen er die Entscheidung in diesen Punkten für unrichtig hält (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 13.12.2021 – 12 S 3227/21 -, juris Rn. 5, vom 02.07.2019 – 12 S 953/19 -, juris Rn. 7, und vom 09.03.2017 – 5 S 2546/16 -, juris Rn. 6; Rudisile, Rechtsprechung zum Beschwerderecht der VwGO, NVwZ 2019, S. 1, 8 ff.; Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 22b; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 71 ff.; Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 146 Rn. 41). Ausgehend hiervon führt das Beschwerdevorbringen, mit dem Feststellungen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen eines Anordnungsanspruchs angegriffen werden, nicht dazu, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern wäre.
- Der Antragsgegner macht mit seiner Beschwerde im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht differenziere fehlerhaft nicht zwischen Kapazitätserschöpfung und fehlender Erfüllbarkeit des Anspruchs und verpflichte letztlich zu einer rechtlich und tatsächlich unmöglichen Leistung. Diese Auffassung werde bestätigt durch die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 23.01.2019 (Az. 2 K 7453/18) und des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21.02.2018 (Az. 18 L 43.18). Danach scheide dann, wenn neue Kapazitäten nicht so kurzfristig geschaffen werden könnten, um einen Betreuungsplatz nachzuweisen, eine dahingehende Verpflichtung im Verfahren nach § 123 VwGO aus, da sie in unzulässiger Weise auf etwas Unmögliches gerichtet wäre. Unter Vorlage der Belegungs- und Wartelisten der in seinem Zuständigkeitsbereich ansässigen Tageseinrichtungen führt der Antragsgegner sodann aus, es seien sämtliche Plätze belegt und er habe alle Maßnahmen zur Kapazitätserweiterung ergriffen, der Fachkräftemangel hindere die Einrichtungsträger und auch ihn, den Jugendhilfeträger, jedoch daran, ihre gesetzliche Pflicht erfüllen zu können. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.
- Der Anspruch der Antragstellerin nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII wird nicht durch die vom Antragsgegner vorgebrachte Auslastung der Kapazitäten berührt. Der Anspruch aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII steht – anders als etwa das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 Abs. 1 SGB VIII (vgl. Senatsbeschluss vom 13.12.2021 – 12 S 3227/21 -, juris Rn. 16) – unter keinem Kapazitätsvorbehalt. Der Gesetzgeber hat den Rechtsanspruch nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorbehaltlos ausgestaltet. Dies ist in der Rechtsprechung geklärt (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 -, juris Rn. 134, zu den Ansprüchen aus § 24 Abs. 2 und 3 SGB VIII; BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 5 C 19.16 -, juris Rn. 34 und 35, zu § 24 Abs. 2 SGB VIII; aus der obergerichtlichen Rechtsprechung etwa Senatsbeschlüsse vom 13.12.2021 – 12 S 3227/21 -, juris Rn. 16, und vom 21.07.2020 – 12 S 1545/20 -, juris Rn. 25, zu § 24 Abs. 3 SGB VIII; OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 09.11.2022 – OVG 6 S 61/22 -, juris Rn. 3, vom 22.03.2018 – OVG 6 S 2.18 -, juris Rn. 11, zu § 24 Abs. 2 SGB VIII, und Beschluss vom 12.12.2018 – OVG 6 S 55.18 -, juris Rn. 11, zu § 24 Abs. 3 SGB VIII; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15.12.2021 – 10 ME 170/21 -, juris Rn. 8, zu § 24 Abs. 3 SGB VIII; Sächsisches OVG, Beschluss vom 07.06.2017 – 4 B 112/17 -, juris Rn. 7, zu § 24 Abs. 2 SGB VIII). Es handelt sich danach um eine unbedingte Bereitstellungs- bzw. Gewährleistungspflicht (vgl. BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 -, juris Rn. 134). Der Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII besteht deshalb nicht nur im Rahmen vorhandener Kapazitäten, sondern verpflichtet den Jugendhilfeträger durch aktives Handeln (Vermitteln) dazu, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen und anzubieten oder durch geeignete Dritte bereitzustellen. Er ist nicht auf den vorhandenen Vorrat an Plätzen begrenzt, sondern – sofern diese Plätze nicht ausreichend sind – auf die Schaffung neuer Plätze und damit letztlich auch auf die Erweiterung der vorhandenen Kapazitäten gerichtet, bis ein dem Bedarf in qualitativer und quantitativer Hinsicht gerecht werdendes Angebot besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.10.2017 – 5 C 19.16 -, juris Rn. 35; Senatsbeschluss vom 13.12.2021 – 12 S 3227/21 -, juris Rn. 16). Diese Grund-sätze werden auch von der Beschwerde nicht in Frage gestellt.
- Die Beschwerde beruft sich vielmehr auf den allgemeinen Rechtsgedanken des § 275 BGB, wonach von dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Verschaffung einer tatsächlich und/oder rechtlich unmöglichen Leistung nicht verlangt werden kann. Ein Leistungsausspruch wäre in diesem Fall ohne Sinn, weil bereits im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung feststünde, dass die Leistung durch den gegen den Schuldner gerichteten Vollstreckungszwang keinesfalls erreicht werden könnte (vgl. Ernst in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 275 Rn. 63). Daher könnte auch ein etwaiges Vollstreckungsverfahren nicht zur Durchsetzung des Anspruchs führen. Mit diesem Vorbringen dringt sie nicht durch.
- Die Einwände der fehlenden Erfüllbarkeit und Unmöglichkeit können der unbedingten Gewährleistungspflicht nicht entgegengehalten werden (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 15.12.2021 – 10 ME 170/21 -, juris Rn. 8, und vom 20.06.2019 – 10 ME 134/19 -, juris Rn. 5; Sächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris 7 ff., und vom 07.06.2017 – 4 B 112/17 -, juris Rn. 7 ff.; wohl auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.04.2020 – 7 B 10222/20 -, juris Rn. 5; a.A. Hessischer VGH, Beschluss vom 12.02.2020 – 10 B 2754/19 -, juris Rn. 4; VG Sigmaringen, Beschluss vom 23.01.2019 – 2 K 7453/18 -, juris Rn. 33; VG Berlin, Beschluss vom 21.02.2018 – 18 L 43.18 -, juris Rn. 13; offengelassen im Senatsbeschluss vom 13.12.2021 – 12 S 3227/21 -, juris Rn. 17). Sie greifen schon deshalb nicht durch, weil eine mit der zivilrechtlichen Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB vergleichbare Situation weder von der Beschwerde dargelegt noch ersichtlich ist (vgl. Sächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris 13, und vom 07.06.2017 – 4 B 112/17 -, juris Rn. 13; so wohl auch OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.04.2020 – 7 B 10222/20 -, juris Rn. 5; a.A. VG Sigmaringen, Beschluss vom 23.01.2019 – 2 K 7453/18 -, juris Rn. 33; VG Berlin, Beschluss vom 21.02.2018 – 18 L 43.18 -, juris Rn. 13). Die vollständige Belegung der vorhandenen Plätze ist nicht mit der aus dem Zivilrecht bekannten, zur Unmöglichkeit und teilweisen Leistungsbefreiung führenden Fallkonstellation vergleichbar, bei der sich der Schuldner zur Leistung aus einem begrenzten Vorrat mehreren Gläubigern gegenüber verpflichtet hat und der Vorrat nicht für die Belieferung aller Gläubiger ausreicht (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris Rn. 7). Denn die Antragstellerin konkurriert insoweit nicht mit Gleichaltrigen um die wenigen Betreuungsplätze, sondern hat aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII – wie die Gleichaltrigen auch – einen unbedingten Anspruch auf Gewährleistung der Förderung in einer Tageseinrichtung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.04.2020 – 7 B 10222/20 -, juris Rn. 5; Sächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris Rn. 14), der den Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebotes an Betreuungsplätzen zwingt (vgl. BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 -, juris Rn. 134).
- 10.
- Von dieser gesetzlichen Pflicht entbinden den Antragsgegner weder der angeführte Fachkräftemangel noch andere vergleichbare Schwierigkeiten (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 15.12.2021 – 10 ME 170/21 -, juris Rn. 8, und vom 20.06.2019 – 10 ME 134/19 -, juris Rn. 5; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 16.04.2020 – 7 B 10222/20 -, juris Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 12.12.2018 – OVG 6 S 55.18 -, juris Rn. 11, und vom 22.03.2018 – OVG 6 S 6.18 -, juris Rn. 10). Der Senat verkennt dabei nicht die teilweise nicht unerheblichen Schwierigkeiten bei der Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots an Betreuungsplätzen. Diese sind jedoch nicht geeignet, den individuellen und vorbehaltlos gewährleisteten Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu relativieren. Denn ein Anspruch, der gerade dann nicht gerichtlich durchsetzbar sein soll, wenn aktuell sämtliche Plätze belegt sind, stünde entgegen der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers doch unter einem Kapazitätsvorbehalt (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris Rn. 139).
- 11.
- Daher ist der Anspruch auf Kapazitätserweiterung auch kurzfristig zu erfüllen, etwa über eine zeitlich begrenzte Ausnahmegenehmigung zur Überbelegung im Einzelfall nach dem Kriterienkatalog des Kommunalverbands für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) mit Stand Oktober 2018, auf den der KVJS auf seiner Homepage verschiedentlich verweist und der daher nach wie vor aktuell sein dürfte (vgl. Senatsbeschluss vom 13.12.2021 – 12 S 3227/21 -, juris Rn. 18; entgegen VG Sigmaringen, Beschluss vom 23.01.2019 – 2 K 7453/18 -, juris Rn. 34). Hinzu kommen Möglichkeiten, die sich aufgrund der ab dem 01.09.2022 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 1a KiTaVO zum Mindestpersonalschlüssel für das Kindergartenjahr 2022/2023 ergeben (vgl. Verordnung des Kultusministeriums über den Mindestpersonalschlüssel und die Personalfortbildung in Kindergärten und Tageseinrichtungen mit altersgemischten Gruppen [Kindertagesstättenverordnung – KiTaVO] vom 25.11.2010 [GBl. S. 1031], zuletzt geändert durch Verordnung vom 07.09.2022 [GBl. S. 483]) und den Einsatz von zwei Zusatzkräften anstelle einer Fachkraft und damit eine Unterschreitung des Mindestpersonalschlüssels ermöglichen. Der Antragsgegner hat sich angesichts der ihm obliegenden Bereitstellungsverantwortung um die Ausschöpfung der genannten Möglichkeiten zu bemühen. Dies kann auch die Verpflichtung umfassen, sich ausreichend Einflussmöglichkeiten auf die Träger der Einrichtungen zu verschaffen oder alternative Lösungen zu entwickeln, ggf. sogar selbst Einrichtungen zu betreiben (vgl. § 1 Abs. 2 KiTaG).
- Könnten sich die Träger der Jugendhilfe auf eine fehlende Erfüllbarkeit wegen Kapazitätsauslastung berufen, drohte der vom Gesetzgeber ausdrücklich als Rechtsanspruch ausgestaltete § 24 Abs. 3 SGB VIII leerzulaufen (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 15.12.2021 – 10 ME 170/21 -, juris Rn. 8, und vom 20.06.2019 – 10 ME 134/19 -, juris Rn. 5; Sächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris Rn. 8). Dies gilt in Baden-Württemberg umso mehr, als die Gewährleistungspflicht vorrangig die Landkreise trifft, die neben den Stadtkreisen und den nach § 5 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes für Baden-Württemberg (LKJHG) in der Fassung vom 14.04.2005 (GBl 2005, S. 376) zu örtlichen Trägern bestimmten kreisangehörigen Gemeinden örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe und damit Anspruchsverpflichtete sind (§ 3 Abs. 2 Satz 2, § 85 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 1 LKJHG; vgl. BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 -, juris Rn. 5, 119, 122; zur vergleichbaren Situation in Sachsen und Hessen: Sächsisches OVG, Beschluss vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris Rn. 8; Hessischer VGH, Beschluss vom 10.01.2017 – 10 B 2923/16 -, juris Rn. 12), aber regelmäßig keine eigenen Kapazitäten vorhalten. Die Einrichtungen werden vielmehr traditionell von den Gemeinden oder freien Trägern betrieben, obwohl die Träger der Jugendhilfe in § 1 Abs. 2 KiTaG gleichrangig neben den Gemeinden und privat-gewerblichen Trägern als Betreiber von Kindergärten aufgeführt werden (vgl. zur Bereitstellung der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Infrastruktur nach § 79 Abs. 2 SGB VIII: BVerfG, Urteil vom 21.11.2017 – 2 BvR 2177/16 -, juris Rn. 101 f., 128, 134).
- Zu berücksichtigen ist ferner, dass sich die Umstände in den Tageseinrichtungen typischerweise laufend verändern, sowohl auf Seiten der Einrichtung, etwa durch Neueinstellungen oder Rückkehr aus der Elternzeit, als auch auf Seiten der zu betreuenden Kinder, etwa durch deren Wegzug (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 12.02.2020 – 10 B 275/19 -, juris Rn. 7). Dies wird durch die vom Antragsgegner vorgelegte Liste bestätigt, wonach in der kreisangehörigen Gemeinde B. wegen fehlender Fachkräfte zwar aktuell 240 Plätze nicht belegt würden, diese Reduzierung aber nur „bis Januar 2023 oder Personaleinstellung“ gelte, und bei zwei Einrichtungen eine Reduzierung um jeweils 25 Plätze infolge von Personaleinstellungen wieder aufgehoben wurde (Anlage B7 vom 10.10.2022 zum Schriftsatz vom 12.10.2022). Vor diesem Hintergrund und auch angesichts der Bindung des Antragsgegners an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) ist es dem Senat verwehrt, bereits im Zeitpunkt seiner Entscheidung anzunehmen, dass der Antragsgegner auch unter dem Eindruck der drohenden Vollstreckung seiner Verpflichtung aus § 24 Abs. 3 SGB VIII nicht nachkommen und der Antragstellerin keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellen werde (vgl. Sächsisches OVG, Beschlüsse vom 16.06.2017 – 4 B 104/17 -, juris 13, und vom 07.06.2017 – 4 B 112/17 -, juris Rn. 13, im Rahmen des Anordnungsgrunds).
- Es muss letztlich dem Vollstreckungsverfahren überlassen bleiben, dem Antragsgegner den jeweiligen Nachweis zu erlauben, dass ein geeigneter Platz für die Antragstellerin (immer noch) nicht zur Verfügung steht. Voraussetzung für die Androhung eines Zwangsgeldes ist nämlich die grundlose Säumnis des Vollstreckungsschuldners, denn die Androhung ist nur gerechtfertigt, wenn es dem Forderungsschuldner billigerweise zugemutet werden konnte, in der seit der Zustellung des Titels verstrichenen Zeit die Verpflichtung zu erfüllen (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 12.02.2020 – 10 B 2754/19 -, Rn. 8 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15.11.2019 – 10 OB 210/19 -, juris Rn. 6 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.05.2015 – 10 S 835/15 -, juris Rn. 3). Der Antragsgegner dürfte daher berechtigt sein, noch im Vollstreckungsverfahren darzulegen, dass er – erfolglos – alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat, der Antragstellerin einen Platz in einer Tageseinrichtung zu verschaffen, der den in der erlassenen einstweiligen Anordnung festgelegten Anforderungen genügt, wobei allerdings an den Nachweis entsprechend hohe Anforderungen zu stellen sein dürften (vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 12.02.2020 – 10 B 2754/19 -, Rn. 8; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15.11.2019 – 10 OB 210/19 -, juris Rn. 7 f.).
- Schließlich sieht sich der Senat durch das Beschwerdevorbringen auch nicht veranlasst, das ihm nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO eingeräumte Ermessen dahingehend auszuüben, dem Antragsgegner eine weitere Frist zur Erbringung des Nachweises eines Betreuungsplatzes zu gewähren, zumal die Antragstellerin in etwa einem Monat bereits vier Jahre alt wird. Die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Begrenzung der Regelungsanordnung auf sechs Monate, die nicht mit einer Beschwerde angegriffen worden ist und daher vom Verwaltungsgerichtshof nicht geändert werden kann (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 4), ist dahin zu verstehen, dass diese Frist ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, ab dem der Antragsgegner der Antragstellerin einen bedarfsgerechten Betreuungsplatz zuweist. Es ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass der Anspruch der Antragstellerin auch darüber hinaus bis zum Schuleintritt besteht.
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben.
- Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).