Laut Entscheidung des EuGH ist die Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringt und währenddessen er der Verpflichtung unterliegt, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb kurzer Zeit Folge zu leisten, als Arbeitszeit anzusehen.
Die Verpflichtung, persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein, sowie die Vorgabe, sich innerhalb kurzer Zeit am Arbeitsplatz einzufinden, schränkten die Möglichkeiten eines Arbeitnehmers erheblich ein, sich anderen Tätigkeiten zu widmen, so der EuGH.
Der Feuerwehrdienst von Nivelles (Belgien) umfasst Berufsfeuerwehrleute und freiwillige Feuerwehrleute. Letztere nehmen an den Einsätzen teil und nehmen auch Wach- und Bereitschaftsdienste wahr. Ein freiwilliger Feuerwehrmann, der außerdem als Angestellter für ein Privatunternehmen tätig ist, klagte im Jahr 2009 gegen die Stadt Nivelles, um u.a. eine Entschädigung für seine zu Hause geleisteten Bereitschaftsdienste zu erhalten, die seiner Ansicht nach als Arbeitszeit einzuordnen sind. Die mit dem Rechtsmittel in diesem Rechtsstreit befasste Cour du travail de Bruxelles (Arbeitsgerichtshof Brüssel, Belgien) hatte entschieden, den EuGH zu befragen. Insbesondere möchte sie wissen, ob die zu Hause geleisteten Bereitschaftsdienste unter die Definition der Arbeitszeit im Sinne des Unionsrechts fallen (RL 2003/88/EG – ABl. 2003, L 299, 9).
Der EuGH hat entschieden, dass die Bereitschaftszeit in diesem Fall als Arbeitszeit anzusehen ist.
Nach Auffassung des EuGH dürfen die Mitgliedstaaten im Hinblick auf bestimmte Kategorien von bei öffentlichen Feuerwehrdiensten beschäftigten Feuerwehrleuten nicht von allen Verpflichtungen aus der Richtlinie, darunter die Begriffe „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“, abweichen. Auch gestatte die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht, eine andere Definition des Begriffs „Arbeitszeit“ beizubehalten oder einzuführen als die in der Richtlinie bestimmte. Auch wenn die Richtlinie für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vorsehe, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer günstigere Vorschriften anzuwenden oder zu erlassen, bestehe diese Möglichkeit nämlich nicht für die Definition des Begriffs „Arbeitszeit“. Diese Feststellung werde durch die Zielsetzung der Richtlinie bestätigt, die sicherstellen soll, dass die in ihr enthaltenen Definitionen nicht nach dem jeweiligen nationalen Recht unterschiedlich ausgelegt werden.
Es stehe den Mitgliedstaaten jedoch frei, in ihrem jeweiligen nationalen Recht Regelungen zu treffen, die günstigere Arbeits- und Ruhezeiten für Arbeitnehmer vorsehen als die in der Richtlinie festgelegten.
Ferner regele die Richtlinie nicht die Frage des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer, da dieser Aspekt außerhalb der Zuständigkeit der Union liege. Die Mitgliedstaaten könnten somit in ihrem nationalen Recht bestimmen, dass das Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmers für die „Arbeitszeit“ von dem für die „Ruhezeit“ abweiche, und dies sogar so weit, dass für letztere Zeiten gar kein Arbeitsentgelt gewährt werde.
Die Bereitschaftszeit, die ein Arbeitnehmer zu Hause verbringen müsse und währenddessen er der Verpflichtung unterliege, einem Ruf des Arbeitgebers zum Einsatz innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten – was die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, erheblich einschränke –, sei als „Arbeitszeit“ anzusehen. Insoweit sei für die Einordnung als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie entscheidend, dass sich der Arbeitnehmer an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen müsse, um ggf. sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können.
In dieser Rechtssache musste der Kläger während seines Bereitschaftsdienstes nicht nur erreichbar sein, sondern sei auch verpflichtet gewesen, einem Ruf seines Arbeitgebers zum Einsatzort innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten. Außerdem habe er an einem von seinem Arbeitgeber bestimmten Ort persönlich anwesend sein müssen.
Selbst wenn es sich bei diesem Ort im vorliegenden Fall um den Wohnsitz des Klägers und nicht um seinen Arbeitsplatz handelte, schränke die Verpflichtung, persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein, sowie die Einschränkung, die sich aus geografischer und zeitlicher Sicht aus dem Erfordernis ergibt, sich innerhalb von acht Minuten am Arbeitsplatz einzufinden, objektiv die Möglichkeiten eines Arbeitnehmers ein, sich seinen persönlichen und sozialen Interessen zu widmen. Angesichts dieser Einschränkungen unterscheide sich die Situation des Klägers von der eines Arbeitnehmers, der während seines Bereitschaftsdienstes einfach nur für seinen Arbeitgeber erreichbar sein müsse.
Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 14/2018 v. 21.02.2018