Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 18.05.2020 den Eilantrag einer Mutter und ihres Sohnes (Antragsteller) gegen die Einschränkung des Schulbetriebs und gegen infektionsschützende Maßnahmen bei Gottesdiensten durch die Corona-Verordnung der Landesregierung (Antragsgegner) abgelehnt.

Bei den Antragstellern handelt es sich um den Schüler einer 5. Klasse eines Gymnasiums und seine alleinerziehende Mutter.
Sie haben sich zum einen gegen Vorschriften aus der Corona-Verordnung der Landesregierung und einer Verordnung des Kultusministeriums gewandt, die vorsehen, dass der Schulbetrieb an öffentlichen Schulen nur schrittweise wiederaufgenommen wird und unter anderem in 5. Klassen derzeit grundsätzlich noch kein Präsenzunterricht stattfindet. Sie haben geltend gemacht, sie seien dadurch in ihren Grundrechten verletzt. Es seien bereits die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schulschließung nicht erfüllt, weil es sich bei dem Coronavrius nur um einen Virus unter vielen Erregern handele. Jedenfalls seien die angefochtenen Regelungen unverhältnismäßig. Die Schließung der Schule stelle eine Kindeswohlgefährdung dar. Die ersatzweise bereitgestellten digitalen Lernangebote hätten sich als wenig zweckmäßig erwiesen. Der Antragsgegner habe gegen das Recht des Schülers auf gleiche Teilhabe an der Bildung verstoßen. Die bisherigen Maßnahmen hätten sich insgesamt als schwere Störung und akute Gefährdung seiner seelischen und geistigen Entwicklung erwiesen.

Die Antragsteller haben sich außerdem gegen Vorschriften in der Corona-Verordnung der Landesregierung gewandt, die das Kultusministerium dazu ermächtigen, infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus im Bereich von Gottesdiensten anzuordnen. Sie haben dazu vorgetragen, der Schüler sei überzeugter Christ und Mitglied einer altkatholischen Gemeinde. Ein Gottesdienst nach altkatholischem Ritus und eine Gemeindeversammlung seien weiterhin untersagt. Die Corona-Verordnung stelle ein absolutes Religionsausübungsverbot dar und sei verfassungswidrig.

Das Gericht hat den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hieß es unter anderem: Die Schließung von Schulen sei im Gesetz (§ 33 Infektionsschutzgesetz) ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehen. Sie bezwecke, die Verbreitung des Coronavirus durch Unterbrechung der Infektionsketten zu verlangsamen. Beeinträchtigungen in der grundrechtlich geschützten Berufsausübung (Art. 12 GG) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) habe die Mutter wegen des hohen Gewichts des Gesundheitsschutzes hinzunehmen.

Die Schulschließung sei auch mit dem grundrechtlichen Schutz der Familie vereinbar. Art. 6 Abs. 1 GG schütze insoweit die Familie als Autonomie- und Lebensbereich und insbesondere das Zusammenleben von Eltern und Kindern in einer häuslichen Gemeinschaft vor Eingriffen des Staates. Ein solcher Eingriff des Staates in das Zusammenleben der Familie fehle hier. Denn die Schulschließung führe gerade dazu, dass sich der Sohn überwiegend bei der Mutter selbst aufhalte und von ihr zu betreuen sei. Auch die sich aus Art. 6 GG folgende Schutz- und Förderpflicht des Staats zugunsten der Familie sei nicht verletzt.

Die schrittweise Wiederaufnahme des Schulbetriebs mit zunächst nur einigen Klassenstufen verstoße voraussichtlich auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Die Entscheidung für eine schrittweise Wiederaufnahme des Schulbetriebs diene dazu, die mit den Schulschließungen verbundenen Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit der Beteiligten abzumildern, ohne die bei einer sofortigen und schrankenlosen Freigabe der Kontaktmöglichkeiten in Schulen drohende Gefahr zu schaffen, dass die Infektionszahlen in kurzer Zeit wieder in die Höhe schnellten.

Durch die Corona-Verordnung werde der Schüler voraussichtlich auch nicht in seinem Grundrecht auf Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) verletzt. Die Corona-Verordnung stelle klar, dass Veranstaltungen und sonstige Ansammlungen von Kirchen sowie Religions- und Glaubensgemeinschaften zur Religionsausübung zulässig seien. Die auf ihrer Grundlage erlassene Verordnung des Kultusministeriums über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus im Bereich von Gottesdiensten begründe nicht, wie die Antragsteller behaupteten, ein „absolutes Religionsausübungsverbot“. Die darin geregelten Vorgaben u.a. zur Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln seien zwar gleichwohl erhebliche Eingriff in die Glaubensfreiheit, diese seien dem Antragsteller aber wegen des hohen Gewichts des Gesundheitsschutzes derzeit zumutbar.

 

Quelle: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 19.05.2020