Am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ist laut dpa-Berichterstattung am Dienstag, den 12.01.2021 eine erste Klage beziehungsweise ein Eilantrag gegen den seit Montag geltenden Distanzunterricht an den Schulen eingegangen. Demnach soll eine Grundschülerin der 4. Klasse aus Köln per Eilverfahren erreichen wollen, dass die entsprechende Passage in der Coronabetreuungsverordnung außer Vollzug gesetzt wird.

Nachfolgend möchten wir aufführen, wie unserer Auffassung nach die Erfolgsaussichten hierfür sind.

Abzuwägen ist in diesem Fall unter anderem das Recht auf Bildung beziehungsweise die Verantwortung für die Einhaltung der Schulpflicht durch die Schulen gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Abhängig von der aktuellen Infektionslage sind die Gerichte verpflichtet, Grundrechte stets aufs Neue abzuwägen und zu prüfen, ob Maßnahmen verhältnismäßig sind.

Bei der entsprechenden Passage in der Coronabetreuungsverordnung vom 07.01.2021 handelt es sich um § 1 Satz 11, der besagt, dass in der Zeit vom 11. bis 31. Januar 2021 schulische Nutzungen unter anderem für den Unterricht untersagt sind.

Bereits am 12.06.2020 hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW einen Eilantrag gegen die nordrhein-westfälische Coronabetreuungsverordnung in der bis zum 14.06.2020 gültigen Fassung abgelehnt (Az.:13 B 779/20.NE) mit dem die Antragsteller – vertreten durch unsere Kanzlei – die sofortige Wiederaufnahme des regulären Präsenzunterrichts in den Grund- und weiterführenden Schulen erreichen wollten. Nach der Verordnung musste zum damaligen Zeitpunkt durch organisatorische Maßnahmen unter anderem sichergestellt sein, dass ein Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Schülern, Lehrkräften und anderen Personen mit Zutritt zum Schulgebäude während des Schulbetriebs eingehalten wird. Diese Vorgaben hatten zur Folge, dass der Unterrichtsbetrieb damals grundsätzlich nur eingeschränkt beziehungsweise teilweise gar nicht stattfand. Die Antragsteller hatten im Wesentlichen geltend gemacht, die aktuelle Beschulung begründe einen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch die Landesverfassung geschützte Recht auf Bildung und Erziehung der betroffenen Schüler sowie das verfassungsrechtlich verbürgte Elternrecht. Das Oberverwaltungsgericht war allerdings der Auffassung, dass die im Juni 2020 geltenden Vorgaben der Coronabatreuungsverordnung voraussichtlich noch verhältnismäßig seien, verwies aber auch darauf, dass die Wiederaufnahme des Unterrichts in festen Lerngruppen – wie ab dem 15.06.2020 in den Schulen der Primarstufe – auch in der Sekundarstufe I möglich sein dürfte (hier auf der Basis der abgeänderten Coronabetreuungsverordnung). Die den angegriffenen Regelungen zugrunde liegende Annahme, dass vom Schulbetrieb unter Normalbedingungen eine erhöhte Infektionsgefahr ausgehe, sei voraussichtlich nicht zu beanstanden. Die Einschätzung des Infektionsrisikos von Kindern und Jugendlichen sowie deren Relevanz bei der Übertragung des Virus auf andere Personen lasse sich nach den Feststellungen des Robert Koch-Instituts noch nicht abschließend beurteilen.

Im Vergleich zu Anfang Juni hat sich die Infektionslage grundlegend verändert: Am 08.06.2020 hat das RKI bundesweit 214 neue Coronafälle verzeichnet, in NRW 44, am 12.01.2021 waren es in ganz Deutschland 12.802 und in NRW 2.301, die 7-Tages-Inzidenz lag auf Bundesebene bei 155, in NRW bei 142. Rund 80 Prozent der Intensivbetten sind in Deutschland derzeit belegt. Hinzu kommt die Angst vor der Verbreitung der neuen Virusvariante, die um ein Vielfaches ansteckender sein soll. Nach wie vor ist nicht abschließend geklärt, welche Rolle Kinder im Infektionsgeschehen spielen. Forscherteams auf der ganzen Welt beschäftigen sich mit dem Thema, kommen dabei aber teils zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. In Anbetracht der jetzigen Situation ist ungeachtet dessen festzustellen, dass in der aktuellen Rechtsprechung überwiegend die derzeitigen Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus als geeignet und verhältnismäßig erachtet werden.

So hat das OVG NRW am 26.10.2020 entschieden, dass die Sperrstunde in gastronomischen Einrichtungen und das Verbot des Alkoholverkaufs zwischen 23 Uhr und 6 Uhr, welche die nordrhein-westfälische Coronaschutzverordnung für Kommunen mit einer 7-Tages-Inzidenz über dem Wert von 50 vorschreibt, rechtmäßig sind.
Die Verbote dienen nach Auffassung des Gerichts dem legitimen Zweck, die Weiterverbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu verlangsamen, die bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 50 wegen fehlender Nachverfolgungsmöglichkeiten außer Kontrolle zu geraten drohe. Das gegenwärtige Infektionsgeschehen sei durch ein rapides Ansteigen der Infektionszahlen gekennzeichnet. Die von den Antragstellern angegriffenen Verbote seien geeignet, dieses zu verlangsamen.

Des Weiteren hat das OVG NRW am 09.11.2020 einen Eilantrag gegen das Betriebsverbot für gastronomische Einrichtungen abgelehnt. Der damit einhergehende Eingriff vor allem in die Berufsfreiheit der Betreiber genüge dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Betriebsverbot führe zusammen mit den übrigen Maßnahmen insgesamt zu einer deutlichen Verringerung infektionsrelevanter sozialer Kontakte in der Bevölkerung. Die Antragstellerin könne voraussichtlich auch nicht mit Erfolg geltend machen, die Schließung gastronomischer Einrichtungen sei nicht erforderlich, da sich diese nicht als Infektionstreiber erwiesen hätten. Das Infektionsgeschehen sei diffus und Infektionsketten ließen sich größtenteils nicht mehr zurückverfolgen. Bei dieser Ausgangslage müssten im Rahmen der vorzunehmenden Folgenabwägung die Interessen der Antragstellerin gegenüber dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung zurücktreten.

In Anbetracht der momentanen Infektionslage und den Gründen, aus denen das OVG NRW einen ähnlichen Antrag im Juni 2020 abgelehnt hat und auch Eilanträge gegen die Sperrstunde in gastronomischen Einrichtungen und später deren Betriebsverbot, tendieren wir dazu, dass Gerichte derzeit auch Anträge ablehnen werden, welche die Beibehaltung des Präsenzunterrichts fordern. Auch wenn die Rolle von Kindern beim Infektionsgeschehen nicht eindeutig geklärt ist, führt die Aussetzung des Präsenzunterrichts praktisch zur Reduzierung von Kontakten, wie von Wissenschaft und Politik gefordert. Gerichte dürften somit derzeit das Recht auf körperliche Unversehrtheit über das Recht auf Bildung stellen. Mit einer positiven Entscheidung dürfte erst zu rechnen sein, wenn die 7-Tage-Inzidenz auf unter 50 gefallen ist und sich die Situation auf den Intensivstationen entspannt.